Rezension: Den Berliner Binden

Von: Katja Tessnow. Magdeburger Volksstimme, 16. März 2013.

Stadtschreiber feiert Premiere ohne Fahrrad. Bernd Wagner betritt die Bühne.
Der Stadtschreiber, seit 1. März im Amt, hat am Mittwoch im Forum Gestaltung gleich ein paar Magdeburger Herzen für sich gewonnen.

Mit einem "Habemus poetam" trat Forumschef Norbert Pohlmann in Anlehnung an den lateinischen Schlachtruf nach der wahl des neuen Papstes vor das zahlreich erschienene Publikum, um ihn zu präsentieren: den neuen Poeten unter uns Magdeburgern, den Magdeburger Stadtschreiber. Mit Bernd Wagner füllt ein Mann das erst am 1. März geborene Amt aus, der selbst just das Rentenalter erreicht hat. Zu einer annehmbaren Rente dürfte es indes kaum reichen. Wagner ist ein gestandener und zuj Beispiel für seinen Wenderoman "Paradies" mit viel Kritikerlob bedachter Autor. Er erfüllt dennoch das Klischee des armen Poeten. Wagner schlug sich jahrelang mit Hartz IV durch. Dass es ihm an Geld, nicht ab er an Geist, an Freude auf neue Erfahrungen und an "Wortlust" mangelt, stellte Wagner bei seiner Dreifachpremiere unter Beweis. Er lese heute zum ersten Mal in Magdeburg, zum ersten Mal aus seinem druckfrischen gedichtband und obendrein zum ersten Mal mit Musik. Als Begleiter holte sich Wagner den Magdeburger Musiker martin Müller (Akkordeon) an die Seite, was sich als kluger Schachzug erwies. Nicht nur, dass Müller galant überleitete, er unterlegte auch wagners Sprechen und gab zwei Gedichte, eigens vertont, singend zum Besten. Letzteres wirkte recht ungehobelt oder - positiv - nicht glattgebügelt. So ist auch Wagners Lyrik. "Den Berliner Blinden" nennt er sein jüngstes Werk mit Bezug auf ein geschäft der Berliner Blindenanstalt. Hier erwarb er jenes Notizbuch, das er bei seinen Stadtwanderungen bei sich trug. Wagner verdichtet drei Jahrzehnte aus drei Städten: Ost-, West- und Gesamtberlin. Er schreibt vom Steuermann, der grüßt, "wie wir alle, seit die Arbeit selten wurde". Es wird geraucht, getrunken, Maischolle gegessen. Es wird das Leben genossen und erlitten, frei von Pomp, "in der einen Hand die Zigarette, in der anderen nichts". Wagner eroberte am Mittwoch die Gunst seiner Zuhörer und bekannte freimütig: "Ich habe fast alles, worüber ich hier schreibe, selbst erlebt." Auch das: "Ich kann es nicht fassen und klage laut: Man hat mein schwarzes Fahrrad geklaut." Im Gedichtband verarbeitet Wagner so einen Fall aus Berlin. In Magdeburg angekommen, erging es ihm nicht besser. Nach einem tag war das Fahrrad weg. Wagner kann das nicht schrecken. Er freut sich sichtlich und hörbar auf Magdeburg. Er will sich seinen reim auf die Stadt machen - für jedermann lesbar. Das wird spannend.

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