Stabilisieren oder Stalinisieren?

28. März 2009

Wenn kürzlich ein Cartoonist einen nicht näher erkennbaren Politiker ins Mikrophon sprechen ließ „Wir müssen die wirtschaftliche Lage stalinisieren... äh stabilisieren“, so kann man diese Übertreibung seiner östlichen Herkunft zugute halten. Wie dem Autor dürften ihm die Rufe nach Verstaatlichung, sei es aus dem Munde des französischen Präsidenten oder eines deutschen Gewerkschaftlers, besonders laut im Ohr hallen, wie er hat er in Erinnerung behalten, daß Gier nicht allein in der plötzlich nur noch Kapitalismus genannten Demokratie, sondern nicht weniger im Sozialismus zuhause ist. Doch auch derjenige, dem diese Erfahrungen fehlen, sollte bei einem Blick auf die durchaus beträchtlichen sozialistischen Einsprengsel innerhalb der westlichen Gesellschaft stutzig werden: Sind es nicht die Banken mit staatlicher Beteiligung, die sich am tiefsten verzockt haben und zuerst die Steuergelder in Anspruch nehmen; bekommen nicht auch gewisse Betriebsräte, Partei- und Stiftungsvor-sitzende Gehälter, die in keinem Verhältnis zu ihren häufig bescheidenen Arbeitsleistungen stehen? Sie alle hantieren mit Geld, das mehr und mehr zu einer imaginären Größe geworden ist. Gemälde, die vor 100 Jahren wegen ihrer Unverkäuflichkeit zu Selbstmorden ihrer Schöpfer führten, kosten heute zweistellige Millionenbeträge, nicht billiger sind ein paar halbwegs talentierte Fußballerbeine zu haben, und nennenswerte Posten in Staatsbudgets, Firmenbilan-zen und Privatvermögen lassen sich nur noch in Milliarden beziffern. Imaginär an diesen Summen ist nicht nur das Fehlen jeglicher Beziehung zu realen Werten, sondern daß es sich fast ausschließlich um gepumptes Geld handelt. Auf Pump wurde und wird die deutsche und europäische Einheit finanziert; mit gepumptem Geld trugen die amerikanischen Unterklässler unseren letzten Wirtschaftsaufschwung, weil sie damit ihre Häuser, Autos und Kühlschränke bezahlten; seine alten Schulden vergißt im Moment der Krise plötzlich der Staat und häuft neue darauf, um uns durch ein „Rettungs-paket“ zum Kauf neuer Autos, Häuser und Kühlschränke zu animieren. Doch wer darin den Beweis für die Überlegenheit der Plan- über die Marktwirtschaft sieht, sei daran erinnert, daß die DDR erst dann unterging, als sie ihr gepumptes Geld nicht mehr zurückzahlen konnte. Nein, wer schon das schuldenbelastete Rad der Zeit zurückdrehen will, sollte es über den Sozialismus hinaus bis zum Feudalismus tun. Schon unter dem Gesichtspunkt, daß der jährliche Kauf eines Neuwagens vielleicht ein Wirtschaftssystem, aber nicht die Welt am Zusammenbrechen hindern kann, ist er eine bedenkenswerte Alternative. Noch deutlicher wird seine Überlegenheit am vieldiskutierten Beispiel unserer Spitzenmanager. Gehört es wirklich zu den Hauptproblemen unserer Gesellschaft, daß sie zu hohe Gehälter, Bonuszah-lungen und Abfindungen bekommen? Nein und abermals Nein! Sie bekommen nicht zu viel Geld, sondern sie arbeiten zu viel! Anstatt unser verpumptes Geld an pleitegehende Banken zu überweisen oder, wie Herr Mehdorn, das Land mit betonierten Bahnsteigen, Brücken und Bahnhofs-Kaufhäusern zuzupflastern, sollten sie endlich der Verpflichtung wirklicher Aristo-kraten zum repräsentativen Nichtstun nachkommen. Erinnern wir uns einmal an jene seligen Zeiten, die uns nicht nur Bahnsteige, sondern Schlös-ser, Parks, Orangerien und den Champagner hinterlassen haben. Was waren dort die Aufga-ben der Spitzen der Gesellschaft? Nun, Bilanzen zu ziehen und Dividenden auzuschütten gewiß nicht. Sie hatten vielmehr ihr Geld, ob gepumpt oder nicht, auf möglichst glanzvolle Weise zu verprassen. Hatten ihren ärmeren Mitbürgern ein Festspiel des Menschenmöglichen zu liefern, ja darüber hinaus einen Abglanz des Göttlichen, falls noch jemand weiß, was ich meine. Dieser Gott, den sie zu vertreten hatten, war aber keineswegs der protestantische Schöpfergott, sondern einer, der, wenn er überhaupt jemals etwas geschaffen hat oder zugelassen, daß es geschaffen wurde, seine restliche Zeit mit Nichtstun verbachte. Wie aber sieht der Alltag unserer neuen Aristokratie aus? Sechzehn Stunden am Tag Konferenzen, Telefonate und andere Termine, und wenn Sie dann nach Feierabend von Body-guards in ihre abgeschirmten Ghettos gebracht werden, können auch sie nichts anderes als so viel essen, bis der Magen voll ist, und noch ein bißchen fernsehen. Wer hat etwas von ihren Millionen und Milliarden? Weder sie noch wir. Sie sollten endlich die vielfach beschworene Kreativität anstatt zum Verdienen von noch mehr Geld zu seinem möglichst sinnvollen, das heißt sinnlosen Ausgeben einsetzen. Öffentliche Feste geben und Feuerwerke zünden lassen, Windjammerparaden mit ihren Yachten veranstalten, sich Perücken, Pferde und Mätressen anschaffen und damit ein allen sichtbares Zeichen zur Anfeuerung des Konsums geben. Oder sich wenigstens an Ernst Albrecht ein Beispiel nehmen und ab und zu einen Journalisten wie den Autor verprügeln. 

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