Kampagnenreiter
Politisches Feuilleton im DeutschlandRadio Kultur, 23. Juli 2007
Wie langweilig wäre das Leben im Dorf namens Deutschland, wenn es die Kampagnen nicht gäbe, wenn man durch seine Gassen nicht fortwährend Herden tollwütiger Säue hetzte! Wir wären zu eigenem Nachdenken verurteilt, wir würden in Trägheit versinken und glatt den Weltuntergang verschlafen.
Gut geführte Kampagnen verhindern das. Wäre beispielsweise die DDR-Jugend in den 50er Jahren zu mobilisieren gewesen, Kartoffelkäfer zu sammeln, wenn man sie nicht vorher darüber aufgeklärt hätte, daß diese schwarzgelb gestreiften Schädlinge aus amerikanischen Flugzeugen abgeworfen wurden? Und wäre der Kristallnacht ein solcher Erfolg beschieden gewesen, wenn sie nicht durch Presse, Plakate und Protestdemonstrationen vorbereitet worden wäre?
Doch nicht nur Diktaturen benötigen Kampagnen, um die Volksseele am Kochen zu halten, sie gehören zum Vokabular jeder modernen Gesellschaft, in der das Gerücht, die Fama, die Legende durch die unermüdliche Arbeit der Massenmedien ersetzt wird. Zwar ist ihnen die geballte Stoßkraft einer gleichgeschalteten Presse verwehrt, doch die Gesetze des "Steter Tropfen höhlt den Stein" und "Wo Rauch ist, da ist Feuer" wirken auch hier.
Ein kleiner Gang durch die Geschichte bundesdeutscher Kampagnen wird uns bestätigen, daß es dabei keineswegs darauf ankommt, ob es ein solches Feuer tatsächlich gibt und nicht etwa eine Rauchbombe geworfen wurde. Wen zum Beispiel interessiert noch, daß die Vorwürfe gegenüber Politikern wie Lübke, Oberländer und Kiesinger betreffs ihrer braunen Vergangenheit von der Stasi inspiriert wurden und zum Großteil auf von ihr gefälschten Unterlagen beruhte? Das Ziel einer Kampagne ist nicht die Suche nach Wahrheit, sondern einer als gegeben angenommenen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Entscheidend ist der gute Wille.
Von welchen Hekatomben guten Willens war doch der Kampf gegen das Waldsterben getragen! Zugegebenermaßen geriet es in Vergessenheit, als man feststellte, daß der Wald ein zäheres Leben hat als man dachte. Seitdem hat man ihn folgerichtig sich selbst über- und ein Drittel der Forstarbeiter entlassen, die vergebens darauf aufmerksam zu machen versuchen, daß er, der deutsche Wald, inzwischen ein Bild des Jammers bietet.
Man hat neue Gegner zu bekämpfen! Den sauren Regen etwa, das Ozonloch, den Rinderwahnsinn, die Geflügelgrippe oder und immer wieder die infernalische Atomkraft. Völlig unerheblich dabei, daß die restliche Welt auf ihre Nutzung setzt und weder ökonomische Zwänge noch radioaktive Strahlen vor Grenzen haltmachen. Wie Deutschland sich als das von Apokalypsen aller Art bevorzugte Territorium begreift, so soll an seinem sich dessen bewußten Wesen noch immer die Welt genesen, weshalb man es mit zigtausend Windrädern vollstellt. Ein guter Naturschützer muss das verkraften. Der SPD-Vorsitzende Beck hat schließlich gesagt, Windkraft ist am umweltfreundlichsten, und ein Braunkohle-kraftwerk stößt weniger CO2 aus als ein Kernkraftwerk. Ob das den Tatsachen entspricht, ist uninteressant. Wichtig für eine erfolgreich geführte Kampagne ist ihre Unterstützung durch bekannte Autoritäten.
Eine der vielversprechendsten Methoden sind in dieser Hinsicht die von Willi Münzenberg, dem Chefpropagandisten der KPD, in den zwanziger Jahren perfektionierten Unterschriften-sammlungen. Wofür haben seitdem insbesondere vom Schreib- und damit auch Unterschreibzwang besessene Schriftsteller nicht ihre Namen hergegeben! Vom Kampf für die Volksfront und die Freiheit von Angela Davis bis zum Ringen darum, daß der Freiburger Fußballtrainer Finke nicht seines Amtes enthoben wird, wofür einzutreten erst kürzlich unser stets kampfbereiter Nobelpreisträger sich nicht zu schade war.
Das Problem bei derartigen Petitionen wie an der Kampagnenreiterei überhaupt ist allerdings ein gewisser Abnutzungseffekt. Wie jenem Hirtenknaben, der so lange aus Schabernack gerufen hat "Die Wölfe kommen!", bis ihm, als sie tatsächlich anrückten, niemand glaubte - so kann es im Ernstfall jedem Alarmeur gehen.
Ist der sogenannte "Klimawandel" ein solcher Ernstfall? Wer soll das beurteilen? Herr Gabriel, der sämtliche Schulklassen mit Al Gores Katastrophenfilm beglücken will? Herr Gore selbst, dessen swimmingpoolgekrönter Haushalt zehnmal so viel Energie wie ein durchschnittlicher amerikanischer und damit wohl hundertmal so viel wie der des Autors verbraucht? Oder handelt es sich vielleicht doch um eine Selbstüberschätzung des Menschen, wenn er glaubt gegen Sonnenflecken, zyklisch wiederkehrende Eis- und Zwischeneiszeiten und Wärmephasen mithilfe von Windmühlenflügeln ankämpfen zu wollen?
Wer weiß das schon?
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